Was ist passiert...?
Was ist passiert mit Ihnen in den jeweiligen Lesepausen und Phantasiemomenten?Vielleicht ja etwas in dieser Art:
In Szene 1 haben Sie ganz neutral und noch halbwegs sachlich eine Frau und einen Mann vor sich gesehen.
Eine eher normale, ggf. noch recht unemotionale Situation.
Spätestens in Szene 2 war Alfred Hitchcock allgegenwärtig in Ihrem Hirn, nicht wahr?
Die ganze Betrachtungsweise wurde emotionaler, war sofort wertend und hochspekulativ.
Und in Szene 3 krachte das ganze Denkgerüst wieder in sich zusammen.
Eine weitere sachliche Information machte uns klar, dass wir eben noch völlig auf dem Holzweg waren.
Interessant, oder?
Warum war das so?
Was verführt uns dazu, Geschichten, die wir nicht wirklich kennen, spekulativ zu werten und uns Bilder zu machen, von denen wir keine Ahnung haben, ob sie irgendeine Ähnlichkeit mit der Realität haben oder nicht.
Sparen wir uns an dieser Stelle die Diskussion, ob es überhaupt irgend eine tatsächliche Realität gibt für uns Menschen, denn diese Überlegung hätte wahrscheinlich genug Futter für 3 Bücher mit der Chance auf einen Psychologie-Nobelpreis oder mit der Chance auf völlige Verzweiflung, weil man merkt, dass man diese Frage vielleicht nicht befriedigend zu einem schlüssigen Ergebnis führen kann.
Bleiben wir für heute bei unseren Szenen und den Ursachen für die wechselnden Bilder.
Ursache 1: Fred
Ich gestehe ohne Reue: Ich bin böse.Ich habe Sie gezielt manipuliert.
Ich habe Ihnen eine Situation geschildert, die Fred aktiviert hat.
Fred ist Ihr Bibliothekar in Ihrem Hirn und Fred ist seeehr fleißig.
Fred wird nie müde, er ist laufend am Daten sammeln, am Daten einordnen so, dass sie schnell immer wieder abgerufen werden können.
Ziel von Fred ist es, Erfahrungen zu speichern, damit Freds Chef auf diese immer wieder zugreifen kann.
Schließlich ist es Freds Job, seinem Chef Entscheidungsgrundlagen zu liefern und das tut er ganz gewissenhaft und sehr schnell.
Fred erfuhr von einem seiner Späher, dem Auge, dass von einer Situation, die "das Fenster zum Hof" heißt, gelesen wird.
In Windeseile rast er durch seine Regale, schnappt sich das Erinnerungsbuch, in dem "das Fenster zum Hof" gespeichert ist und stellt alle relevanten Infos bereit.
Ganz sachlich zeigt er die alten Bilder des Films, aber vor allem auch die Emotionen, die Freds Chef beim Filmansehen gehabt hat.
Ursache 2: Reizwörter
Ich gestehe ohne Reue: Ich habe vorhin untertrieben.Ich bin nicht nur böse, ich bin sogar ziemlich böse.
Ich habe in der zweiten Situation ganz berechnend zwei Wörter gebraucht, die wie emotionale Reiztrigger fungieren.
Sie erinnern sich?
Sie haben gelesen: "Die Frau blickt dem Mann entschlossen ins Gesicht und in der rechten Hand hält sie ein blitzendes Messer."
Entschlossenheit klingt nicht nach "wir-als-Paar-legen-uns-nun-gleich-harmonisch-kuschelnd-in-die-Bubukiste".
Entschlossenheit klingt nach Handeln, nach Aktion, da passiert etwas.
Ein blitzendes Messer ist für Sie auch etwas anderes als ein profanes ganz normales Messer.
Ein Blitz hat auch nichts mit "wir-schmiegen-uns-im-gleichklang-der-herzen-aneinander" zu tun.
Da wird´s im wahrsten Sinne des Wortes zackig in unserem Leben.
Mit all diesen Reizen muss unser armer Fred umgehen können.
Aber haben Sie kein Mitleid mit ihm.
Wie ich schon sagte, er wird nie müde.
Er hat scheinbar unendliche Reserven.
Niemals ist es die Menge der Arbeiten, die ihn belastet.
Wenn ihn überhaupt etwas belasten kann, dann sind es die Emotionen, die ihm bei der Speicherung und Bereitstellung von Erinnerungen ereilen.
Ergebnis:
1. Wir können es nicht verhindern, dass unser Fred sofort Informationen, Bilder und Emotionen zu jeder Situation in unserem Leben ins Bewusstsein bereit stellt. 2. Wir sollten erkennen, dass wir das auch gar nicht verhindern wollen sollten. Wenn wir am Straßenrand stehen spüren wir unterbewusst die Druckwelle eines heran rasenden LKWs bevor wir ihn sehen oder hören können. Dann rettet es mein Leben, dass Fred schnell, ja sehr schnell das richtige Buch findet und seine Elitearmee - die Hormone - beauftragt, für akuten Handlungsbedarf sofortige motorische Bewegungen zu veranlassen. Das rettet das Leben von Freds Chef und damit seines mit.
3. Was wir aber auch erkennen sollten ist, dass wir eine Wertung zwar schwer verhindern können, dass wir uns sehr wohl aber antrainieren können, dass Wertungen offen bleiben.
Dass wir erkennen, dass jede Wertung
- auf Basis der bisher verfügbaren Informationen zur Situation und
- auf Basis der bisher gemachten Erfahrungen,
Und dass jede neue Information diese Wertung - wenn ich es zulasse - komplett verändern kann.
Denn die zweite Hand mit den beiden Apfelhälften habe ich vielleicht noch nicht gesehen...
Epilog
Während des Schreibens habe ich mich gefragt, wer tatsächlich der Chef ist.Freds Chef?
Oder Fred selbst?
Ich tendieren zum Letzteren.
Doppelt gelächelte Grüße schickt Ihnen
Cemal Osmanovic