Lügen - kann man immer und zu 100% ehrlich sein?
Schon als Kind lernen wir: "Du sollst nicht lügen!"
Für eine glückliche Beziehung gilt: Man kann vieles ertragen. Was man kaum ertragen kann, ist, wenn einen der/die Liebste anlügt. Vertrauen ist die Basis beim Zusammenleben mit dem wichtigsten Mensch des eigenen Lebens (abgesehen von der eigenen Person).
Und doch behaupte ich:
Es gibt wahrscheinlich keinen Menschen, der nicht lügt.
Provokant?
Betrachten wir es genauer.
Gehen wir in diesen Überlegungen von dem positiven Fall aus, dass der zu betrachtende Mensch grundsätzlich nicht lügen will. Wir alle wissen, das trifft nur für einen Teil der Menschen zu. Tun wir es dennoch, weil sich bei dem anderen Teil die Diskussion eh erübrigt.
Fall 1:
Die sogenannte Notlüge.
Ist eine Notlüge bereits eine "richtige" Lüge? Gibt es nicht Situationen, in denen die Konsequenzen einer wahren Aussage so schlimm sind, dass die geäußerte Unwahrheit, damit gerechtfertigt wird?
Ich maße mir nicht an, alle Situationen aller Menschen so genau erahnen, geschweige denn bewerten zu können. Dennoch möchte ich die Frage tendenziell mit nein beantworten.
Es gibt keine "Not"-Lüge, es gibt nur eine wahre Aussage und eine unwahre Aussage. Dass eine unwahre Aussage einen Grund hat (gefühlte Not), mag sein, aber es bleibt faktisch eine unwahre Aussage. Punkt.
Abgesehen davon glaube ich in den meisten Fällen nicht an die wirkliche Not. Ich bin mir eher sicher, dass sehr, sehr oft eine gewünschte Harmonie als Not bezeichnet wird.
Eine wirkliche Not gibt es kaum, es ist bei Vielen einfach nur faktisch oder menschlich unbequem die volle Wahrheit zu sagen. Man hat einfach keine wirkliche Lust auf die Disharmonie und die langen, dann nötigen Erklärungen.
Ich bleibe dabei: Die sogenannte Not ist eh subjektiv und damit ist und bleibt eine Notlüge eine Lüge.
Fall 2:
Das Verschweigen der Wahrheit.
Oft wird gesagt: Bevor ich lüge, sage ich lieber nichts.
In Wikipedia liest man (gekürzt) unter Lüge Folgendes:
"Eine Lüge ist eine Aussage, von der der Sender (Lügner) weiß oder vermutet, dass sie unwahr ist, und die mit der Absicht geäußert wird, dass der oder die Empfänger sie trotzdem glaubt. Ziel ist oft, im Gegenüber einen falschen Eindruck hervorzurufen oder aufrecht zu erhalten. Lügen dienen dazu, einen Vorteil zu erlangen, zum Beispiel um einen Fehler oder eine verbotene Handlung zu verdecken, Kritik oder Strafe zu entgehen usw."
Nun, man könnte zwar sagen, dass ein Schweigen keine Aussage ist. Das klingt erst mal logisch und richtig. Andererseits wissen wir alle, dass wir nicht nicht kommunizieren können.
Dazu ein kleiner Exkurs:
Ein Mensch betritt einen Aufzug. Weder die Bedientafel zur Anwahl der Stockwerke, noch die Decke des Aufzugs interessieren ihn in irgend einer Weise. Nachdem er den Zielknopf des gewünschten Stockwerks betätigt hat, würdigt er beides keines Blickes.
Schlagartig wird das anders, als eine zweite, ihm unbekannte Person ebenfalls den Aufzug betritt. Alles im Umfeld (außer der neu eintretenden Person selbst) wird plötzlich hochgradig interessant und wird genauestens inspiziert.
Es wird alles versucht, um mit dem/r Unbekannten nicht kommunizieren zu müssen. Und um das nicht peinlich werden zu lassen, tut man Dinge, die einen sehr beschäftigt aussehen lassen.
Obwohl man keinen Ton sagt, ist das ein Lüge. Die Schalttafel interessiert mich nicht, ich gebe das nur vor.
Zurück zu Wikipedia:
"Ziel ist oft, im Gegenüber einen falschen Eindruck hervorzurufen oder aufrecht zu erhalten."
Genau das ist auch das Ziel beim Verschweigen von Informationen. Also ist auch das - streng genommen - eine Lüge.
Kann ein Mensch wirklich gar nicht lügen?
Ist das möglich?
Ehrlich? Ich weiß es nicht.
Mein Gefühl sagt mir, das wird nicht gehen.
Wir alle haben neben der Ehrlichkeit viele andere Werte in uns, die uns wichtig sind. Manchmal wissen wir genau, dass ein anderer Mensch in sein Verderben rennen würde, wenn wir ihm nur aus übertriebenem Ehrlichkeitssinn eine Information geben, die Katalysator für eine schlimme Reaktion bei ihm sein würde.
Und schon kämpfen zwei Werte in mir gegeneinander und mein Hirn, mein Herz und meine Seele treffen eine Entscheidung, was für mich und/oder für den Anderen das kleinere Übel ist.
Ist das eine Entschuldigung?
Mein Gefühl sagt mir wieder, dass es keine ist.
Frank Garrelts (ein Geschäftspartner aus früheren Zeiten) sagte in einem Nebensatz mal:
"Ich ziehe es vor, in allen Situationen die Wahrheit zu sagen. Dann muss ich mir nicht dauernd merken, wem ich wann, was vorgelogen habe!" Auch ein Grund für Ehrlichkeit :-).
Ist Cemal Osmanovic zu 100% ehrlich?
Nein, ich bin ein Mensch wie jeder andere und auch in mir kämpfen manchmal Werte gegeneinander.
Aber:
Je selbstbewusster ich in den letzten 20 Jahren geworden bin, desto häufiger (inzwischen fast immer) ziehe ich Ehrlichkeit und Klarheit für alle einer vermeintlichen Harmonie bzw. Bequemlichkeit vor. Ich weiß, das macht mich manchmal unbequem.
Aber dann bin ich ich,
dann bin ich authentisch,
dann bin ich kalkulierbar.
Lieber ein eckiges Etwas, als ein rundes Nichts!