Aus dem Leben einer Oberärztin eines Kinderkrankenhauses...
Episode 1:
Ein junges Paar heiratet, denn der Wunsch beider ist nun konkret, Kinder zu bekommen.
Nachdem sich trotz vieler zwar angenehmen, aber erfolglosen Versuche nach einem Jahr das gewünschte, menschwerdende Ergebnis nicht einstellt fangen beide an, nach einer Ursache zu suchen. Damit beginnt ein 15-jähriger Leidensweg, bestehend aus viel Informationen sammeln, viele gute Ratschläge annehmen und auszuprobieren, viele Ärzte besuchen, ohne befriedigende Ursachen zu finden, fehlgeschlagener künstlicher Befruchtung und dergleichen.
Alles ohne Erfolg.
Das Paar steht trotzig zueinander und gleicht innerlich ein wenig einem geprügelten Hund.
Nach 15 Jahren gibt das Paar auf.
Als beide es so langsam schaffen, sich anderen Dingen des Lebens zuzuwenden, wird die Frau schwanger.
Beide können das Glück kaum fassen.
Das Kind wird geboren und die drei verleben gut 12 Monate innigen Glücks.
Kurz nach dem 1. Geburtstag erkrankt das Kind schwer und stirbt.
Es ist ein schwerer Gang für eine Ärztin, diesen Beiden die Nachricht zu überbringen.
Eine besondere Note bekommt diese Aufgabe noch dadurch, dass quasi nebenan ein Zimmer weiter,
ein 16-jähriges Mädchen ein ungewolltes Kind gerade geboren hat, das die Mutter sofort zur Adoption
frei geben wird.
Manchmal hat das Schicksal anspruchsvolle Aufgaben für uns Menschen bereit...
Episode 2:
Ein mongoloides Kind liegt mit einem ungefährlichen Infekt im Krankenhaus. Das Besondere daran ist,
dass dieses Kind einen gesunden Bruder im Alter von etwa 8 Jahren hat, der seinen Bruder häufig besucht. Eines Tages unterhält sich der (gesunde) Junge mit der Ärztin auf dem Gang. Das Gespräch
geht hin und her und aus dem Gespräch heraus ergibt sich, dass die Ärztin fragt, ob es denn mit einem mongoloiden Bruder nicht manchmal ein wenig schwierig sei, wenn die Freunde des Jungen ihn zu Hause besuchen.
Der Junge antwortet sinngemäß: "Eigentlich nein. Nur selten kommt mal einer und sagt so was wie: "Was will denn der blöde Mongo hier?" Aber wissen Sie Frau Doktor, das spielt für mich keine Rolle. Wenn ich mittags von der Schule heimkomme und mein Bruder strahlt mich dann zur Begrüßung an, dann ist es für mich so, als ob mir jemand einen warmen Mantel um die Schultern legt."
Das ist keine erfundene Geschichte, das ist genau so passiert im Kinderkrankenhaus in Schweinfurt.
Wie weise können Kinder sein...
Episode 3:
Ein mit der Ärztin befreundeter türkischer Mann besucht die Ärztin in privatem Umfeld. Er kommt an dem Tag mit seiner Tochter und die beiden bitten die Ärztin um Rat. Die Tochter ist schwanger und der behandelnde Art meint, er ist sich sicher, im Ultraschall etwas zu sehen, das darauf hindeutet, dass das Kind wohl schwer behindert auf die Welt kommen wird.
Vater und Tochter sind hin und her gerissen, ob der schweren Entscheidung, das Kind zu bekommen und ihm wenige, aber möglichst glückliche Jahre zu ermöglichen. Oder schweren Herzens das Kind schlicht nicht zu bekommen, denn diese Prüfung ist für eine so junge Frau (eher ein größeres Mädchen) schon gewaltig.
Die Ärztin muss den beiden ehrlicherweise sagen, dass sie zwar eine persönliche Meinung dazu hat, was richtig ist und was nicht. Die Tragweite der Konsequenzen ist aber so groß, dass die Beiden das schon für sich selbst entscheiden müssen.
Sie empfiehlt aber etwas, was heute völlig normal erscheint, vor 25 Jahren aber zumindest in diesen Kreisen nicht normal war: Einen 2. Arzt zu befragen. Die Diagnose des zweiten Arzt lautet, dass er es nicht ausschließen kann, dass er aber nichts Definitives sehen kann.
Das Kind wird geboren und ist kerngesund.
Leben heißt, Erlebnisse zu haben.
Diese können belanglos sein oder voller Tiefgang.
Wir entscheiden.
Denn Tiefgang kann in den sogenannten kleinen Dingen des Lebens genauso versteckt sein, wie bei den Big-Points unseres Daseins.
Tiefgang ist in uns oder er ist in einer Situation gerade eben nicht in uns.
Ohne Tiefgang ist ein erfülltes Leben nicht möglich.
Lassen wir es
niemals,
niemals,
niemals zu,
dass wir durch Millionen Impulse, die uns in der modernen Welt jeden Tag treffen, nicht mehr die Zeit für Tiefgang haben. Dass wir nur noch von Erlebnis zu Erlebnis hoppen und keines dieser Erlebnisse wirklich genießen.
Die Sehnsucht danach holt sowieso jeden irgendwann ein....
Früher oder später.
Auch Dich.